Endspurt
Heute ist unser letzter Tag. Der Tag, an dem noch alles so
ist, wie es seit langem war. 307 lange Jahre ein vereinigtes Königreich. Eine
Währung. Ein Land.
Morgen wird entschieden – ob wir (!) selbständig werden und
einen Nachbarn England im Süden haben oder ob wir weiter ein Teil von
Großbritannien sein werden, dann aber mit noch weiter gehenden Rechten als
bisher schon.
Es wird heiß werden morgen. Eher unerwartet hat die Yes
Kampagne in den letzten Monaten zu den No Anhängern aufgeschlossen und letzte
Umfragen liefern ein Kopf an Kopf Rennen mit momentan knappem Vorsprung für No.
Lange war nur hier in Schottland über das Referendum
diskutiert worden. Lange führte No mit bis zu 30 Prozentpunkten die Umfragen an
und bei einer Ausgangssituation von fast 70:30 wurde das Referendum außerhalb
Schottlands meist als ein weiteres Problem unter ‚ferner liefen‘ gesehen. War
ja nichts zu verlieren. Eindeutig. Bis Alex Salmond’s Yes Truppe die scheinbar
schlafenden No-er überrannte. Fast zumindest. Yes war aggressiv, positiv, aktiv
während die Gegner erst mal verwundert aufwachten, sich die Augen rieben und
die Situation gar nicht fassen konnten. Erst jetzt wurde ich auf Alistair
Darling aufmerksam, der zwar anscheinend schon die ganze Zeit die No Kampagne
geleitet hatte, aber eher unauffällig. Sehr unauffällig. Was auch zu seinem
farblosen Auftreten paßt.
Derart aufgeschreckt machten sich die starken Männer aus
Westminster auf den Weg nach Schottland, um im letzten Moment noch ein Yes zu
verhindern. Was zu einigen seltsamen Begebenheiten und Versprechen führte.
Der Premier, Führer der Tories, beschwört inbrünstig die
Einheit, obwohl seine Partei von einer Abspaltung Schottlands profitieren
würde. Gleichzeitig kündigt er Verhandlungen über eine weitergehende Selbständigkeit
Schottlands an, das ja jetzt bereits ein eigenes Rechtssystem, Gesundheits- und
Bildungssystem hat. Wenn dazu noch ein eigenes Finanz- und Steuersystem kommt –
wo, bitte, ist dann noch ein essentieller Unterschied zur Selbständigkeit? Der
umstrittene Labour-Führer hat gute Gründe für den Verbleib Schottlands in der
Union: Ohne die Wähler aus dem Norden wird es in absehbarer Zeit keine
Labour-Regierung in Westminster mehr geben.
Ganz so uneigennützig
wie es erscheint, sind natürlich die Avancen der englischen Politik nicht.
Schottland ist reich an Energievorkommen, wozu nicht nur das Nordsee-Öl und –Gas
gehört (von dessen Gewinn nur 8% in Schottland
landen – der überwiegende Teil in London gebraucht wird), sondern auch
regenerative Energien. Die Infrastruktur ist überwiegend gut, Universitäten
haben einen hohen Standard, es gibt weltweit führende Medizinforschung, usw.
Schottland gehört damit zu den reichsten Ländern der Welt (siehe auch Spiegel online)..
Auch aus Brüssel sind warnende Stimmen zu hören: Dort
fürchtet man anscheinend eine ‚Schottlandisierung‘ Europas mehr, als weiterhin
mit den störrischen Briten über die nötigen Änderungen in der EU zu streiten.
Wenn Schottland erfolgreich wird, dann könnten ja Flandern, Katalonien,
Südtirol etc. dem Beispiel folgen (wollen).
Dabei ist - trotz einer 600 seitigen Abhandlung über die
Folgen der Selbständigkeit – noch eine Unmenge an offenen Fragen zu klären: Verteidigung,
Polizei, EU Beitritt, NHS Finanzierung, …
Bewußt im Vordergrund steht die Frage nach der Währung.
Während Yes weiterhin das britische Pfund behalten möchte, lehnen die drei
Westminster Parteien das rundweg ab. Jede einzelne Diskussion mündet irgendwann
einmal in diese Sackgasse, was auf die Dauer recht ermüdend wird.
Eher weniger problematisch aber für mich interessant ist die
Frage, wer denn bei einer Unabhängigkeit die schottische Staatsbürgerschaft
bekommt. Wählen darf ja jeder, der momentan in Schottland wohnt, nicht aber in
Schotten, die außerhalb wohnen – etwa in England oder sonstwo auf der Welt.
Wie also wird’s weitergehen? Morgen Abend wissen wir mehr.
Und am Freitag ist nichts mehr so, wie es heute ist –
unabhängig vom Ausgang des Referendums. Aber Schottland ist stark genug für
jede der beiden Alternativen.
Und wer wird niorgen obenauf sein? |
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