Enthirn(i)t – und dennoch kein Ende in Sicht

Ja, die Op ist zunächst mal richtig gut verlaufen. Der Heilungsprozeß lief an, wie geplant und das Datum der Entlassung stand schon groß und deutlich in meinem etwas gelüfteten Hirn. Das hatte ich als erste bewußte Aktion gleich nach dem ersten Aufwachen getestet: Kann ich mich erinnern? An Postleitzahlen, PINs, Adressen, Namen, Ereignisse, etc … und alles war m.E. vorhanden. Schlußfolgerung – alles ist gut gegangen, der Erfolg wird sich bald einstellen und eines der großen Probleme ist gelöst.

Nicht das mit der Narbe und der Haarpracht – die eine würde mich auf Dauer zieren, die zweite auch mit gutem Willen nicht wieder zurückkommen. Aber das hatte ich auch nicht erwartet. Nicht wirklich. Dagegen war Hirnis langjährige Heimat schön versteckt, unter einer toll genähten Haut, sodaß wir schon geschwärmt hatten, daß Prof. Tonn genauso gut auch einen gutbezahlten Job in der Modeindustrie antreten hätte können. Wenngleich mit weniger direktem Einfluß auf die Kopf-, Hirn- oder anderen Häute von Menschen.

Hirni's Home: Interessant verschlossen

Auf dem freigewordenen Platz in meinem Hirn hatte ich ein Parkverbotsschild aufgestellt und mental darauf vertraut, daß eine der effektiven (?) Tölzer Politessen die Kontrolle darüber übernehmen würde. Wie halt überall, wo ich normalerweise mal mein Auto kurz abstelle.

Da kommt nichts mehr rein
Denkste. Grade, als alles in Butter schien, schlug Hirni zurück.

Am Dienstag operiert begann das Drama dann am darauf folgenden Freitag. Der Tag verlief noch relativ normal, doch am Abend gelang es mir nicht mehr, mit der linken Hand eine Packung Tempo zu greifen und zu heben. Irgendwie war der Wurm drin, resp.  die Kontrolle weg. Aber Ernst genommen habe ich das denn doch nicht. Nur sind die Kopfschmerzen immer schlimmer geworden und waren nachts unerträglich. Erst mit schmerzstillenden Spritzen war an Schlaf zu denken.

An das darauf folgende Wochenende erinnere ich mich erst mal wirklich nicht gerne und vor allem gehen mir auch viele Details ab. Da gab’s Probleme mit der Speiseröhre, die in Zusammenarbeit mit dem ZK Augsburg und meiner Hausärztin angegangen und schließlich auch bewältigt wurden. Aber das war bereits am Donnerstag und erst der Anfang eines exorbitant schlechten Wochenendes. Dummerweise Wochenende, mit Wochenendbesetzung. Mein Zustand verschlechterte sich kontinuierlich, ich war nicht mehr in der Lage, Gesprächen zu folgen. Meine Augen veränderten sich – die Pupillen waren total unterschiedlich und schauten sogar in unterschiedliche Richtungen und stetig versuchten Eleanor und Viola dem Personal klarzumachen, daß sich mein Zustand von schlecht zu kritisch änderte. Am Sonntag Abend wurde dann endlich eingegriffen und ein CT angefertigt, das eine Verschiebung des Gehirns um mehrere cm zeigte und eine eindeutige Schwelllung im Bereich der Operation nachwies. Den MRT Scan konnte ich dann schon nicht mehr durchstehen – aus Schmerz- und Angstgründen brach ich ihn ab.

Interessanterweise wurde ich in der Zeit von einem jungen Arzt ‚betreut‘, der mit mir wie mit einem zweijährigen Kind sprach: ‚Und jetzt machen wir noch ein paar schöne Aufnahmen von Ihnen, dazu sind Sie ja auch in der Klinik.‘ Eine blödere Aussage ist mir wirklich noch nicht untergekommen und entsprechend genervt habe ich auch reagiert. Was ihn aber offensichtlich nur darin bestärkt hat, daß er auf einem Level Mount Everest sitze (Eigeneinschätzung) und dort halt gnädig den ungeliebten Dienst absitzen würde. Was wiederum mich in der Einschätzung bestärkt, daß seine Wertigkeit allerhöchstens die eines einzelnen Sandkorns in der Rub' al-Hali (große arabische Sandwüste – Übersetzung: Leeres Viertel) erreichen würde. Das stellte er dann auch noch unter Beweis indem er uns gnädigerweise in seine persönliche Forschungsarbeit Einblick gewährte: Es sei eine Entzündung festgestellt worden, was seiner Erfahrung nach vor allem Patienten mit fettiger Kopfhaut treffen würde. Nein – eine wissenschaftliche Studie darüber gäbe es nicht, aber immerhin sei es offensichtlich… Wenn das die Arbeitsweise der medizinischen Forschung repräsentieren würde – Gnade Gott uns armen Patienten. Es kam aber noch schlimmer: Er 'untersuchte' meine Wunde, um den empirischen Beweis zu erbringen, und das mit ungewaschenen Händen, natürlich auch nicht desinfiziert, und drückte so lange auf die Wundränder, bis Sekret austrat. Sinn: Nachweis von Eiter. Ich denke, daß schon die Ärzte im Altertum mit weitaus mehr Kenntnis zu Werke gingen, als dieser selbsternannte 'Spezialist', der sicher schon in den Einführungsvorlesungen gefehlt hat - oder zu blöd ist, diese verstanden zu haben. Schließlich gipfelte sein Sachverstand in der Aussage, daß da eine Entzündung sei, die - 'Glück im Unglück' - rechtzeitig erkannt worden und deshalb einfach zu beheben sei ... Mehr dazu weiter unten. Daß bis zu einer intensiven Untersuchung zwei Tage vergehen mußten, daß erst die Angehörigen die Ärzte auf den Zustand aufmerksam machen mußten - davon kein Wort. Einschätzung verifiziert.

Danach erinnere ich mich – gottseidank – an so gut wie nichts mehr. Ich kann also nur noch berichten, was mir im Anschluß erzählt wurde. Am Montag war klar, daß ich eine Wundinfektion (Empyem) am wieder eingesetzten Knochendeckel hatte. Ausgangspunkt war ein Bakterium, das sich üblicherweise im Darm befindet... Wie es von dort ins ‚Hirn‘ gelangen konnte, ist mir schleierhaft. Neben den offensichtlich möglichen Gründen führt Eleanor wenigstens noch einen natürlichen an: Während der Behandlung meiner Speiseröhre wurde mir ein schmerzstillendes und entkrampfendes Zäpfchen eingeführt und wenn dabei ein Blutgefäß in Mitleidenschaft gezogen worden wäre, dann könnte sich  das Bakterium dort auf Wanderschaft begangen haben. Aber eigentlich mag ich daran nicht so sehr glauben. Im Nachgang wurde mir von einem befreundeten Arzt erläutert, daß Großhadern eine Infektionsrate von 10-20% habe … Nicht grade vertrauenserweckend.

Jedenfalls wurde beschlossen, daß eine Notoperation nötig sei, um das Schlimmste zu verhindern. Zu dem Zeitpunkt war ich jedoch bereits so abwesend, daß ich diese offenbar abgelehnt habe. Mit aller Vehemenz – und da scheine ich noch genügend davon gehabt zu haben. Nach einer Diskussion zwischen Dr. Schwartz und Eleanor wurde mir dann das Entscheidungsrecht über mich selbst abgesprochen (vielen Dank im Nachhinein, ich also sozusagen für unzurechnungsfähig erklärt) und Eleanor mußte wohl oder übel die Einverständniserklärung für die OP abgeben. Keine leichte Aufgabe im Bewußtsein, daß ich diese nicht mehr wollte und auch der möglichen resultierenden Komplikationen. Aber Dr. Schwartz war während des gesamten Klinikaufenthalts eine große Stütze – ein Arzt, wie er sein sollte: kompetent, überzeugend, empathisch und einfach nett. Warum nur müssen andere Ärzte ihren Titel so ‚raushängen‘ oder ‚bedside manners‘ haben, die den Patienten zu einem Stück Fleisch ohne Gefühle oder Geist degradieren? Bei den Untersuchungen vor und nach der zweiten OP wurde ich oft angebrüllt, wenn ich Dinge einfach nicht konnte: die Hand bewegen, eine Zeichnung erkennen (mit Brille wär’s zwar leichter gewesen, aber das hat die Ärztin relativ wenig interessiert), zählen, etc. Brüllen hat aber halt auch nichts geholfen, aber einigen Ärzten wohl das Gefühl der Überlegenheit gegeben. Wenn sie’s denn nötig haben…

Meine erste postoperative Erinnerung ist vom Dienstag in der Intensivstation. Ich weiß noch, daß ich da war – aber mehr ist nicht vorhanden. Ich muß aber richtig zornig zu Eleanor gewesen sein, weil sie in die OP eingewilligt hat, und sie deshalb mit Verachtung gestraft haben – dafür, daß sie mir schlicht das Leben gerettet hat. Tolle Leistung meinerseits. Ich habe mich später dafür entschuldigt und es tut mir auch leid, daß ich sie in diese Situation gebracht habe; wenngleich unbeabsichtigt.

Dann gibt es noch einige Erinnerungsfetzen an weitere Untersuchungen. Immer mal wieder sollte ich die Hände drehen (was einfach nicht ging), das Tagesdatum sagen (was fast immer ging – komischerweise, denn normalerweise vergesse ich das schon im geistig einigermaßen normalen Zustand – oder ist das deshalb ein Indiz für den nachlassenden Geist?), andere Dinge, die mit mir angestellt wurden, sind mir vollständig entfallen. Gottseidank. Dann erinnere ich mich an ein Gespräch mit Erwin – am Mittwoch – der mich fragte, ob er guten Gewissens seine Marokko-Reise am Donnerstag antreten könne oder lieber zuhause bleiben sollte. Die Signifikanz dieser Frage habe  ich absolut nicht verstanden und erklärt, daß mit mir wohl alles OK sei und er getrost fahren könne. Immerhin hatte ich mitbekommen, daß damals das Gröbste bereits hinter mir lag…

… und ich dann auf die Normalstation verlegt wurde. Endlich wieder im ’normalen‘ Bett, das mir eigentlich recht verhaßt ist. Jetzt drehen sich die Diskussionen um Antibiotika, Dauer der Anwendung (bis zu 12 Wochen), Entlassungstermin (keine Diskussion, nur mal eine informative Frage an Prof. Tonn, der mir sagte, ich hätte ihm in der Intensivstation nicht geglaubt, als er von weiteren zwei Wochen Aufenthalt sprach; geglaubt wahrscheinlich, akzeptiert aber weniger). So vergeht die Zeit – langsam – und der Krankenhausalltag nimmt wieder mehr und mehr Gestalt an. Die Probleme verlagern sich von Überleben auf Schmerzbehandlung, Wiederherstellen der Motorik der linken Hand, Wundbehandlung (da bin ich jetzt eigen geworden), Legen der Infusionen (langsam geht’s nirgendwo mehr rein) und – Terminologie der Schwestern – die Nadeln laufen nicht mehr (da bin ich aber froh, daß sie nicht in meinem Körper spazierengehen…) und weitere eher sekundäre Probleme, die aber auch nerven können.

Wie auch manchmal das Verhalten von Zimmergenossen. Da gibt es einen, der den ganzen Tag fernsieht und auch abends keine Rücksicht nimmt – einmal bis 02:30 am Morgen. Er liegt da mit seinem Kopfhörer unter dem Kinn hängend aber auf voller Lautstärke, meist schlafend aber fast immer von den wunderbaren Sendungen von RTL oder RTL II oder gar Dauerwerbesendungen berieselt. Ich dachte immer, daß diese Sendungen nur für schwere Fälle suizidgefährdeter Patienten ausgestrahlt würden, die durch das Anschauen ihre Gehirnwindungen glätten würden, was dann zu einem sanften Entschlafen führen würde. Daß aber anscheinend normale Menschen etwa  Deutschlands selbsternannten schönsten Musikkritiker mit anerkannt geringstem IQ und blödestem Geschwätz (DB) über mehr als 2 Sekunden ohne bleibenden Schaden folgen können, läßt die folgenden Schlüsse zu:
  • Die Deutschen verdummen zusehends oder
  • Die Aufnahmekapazität sinkt rapide oder
  • Die Sache mit dem intelligenten Suizidversuch gelingt wegen fehlendem Gehirn sowieso nicht mehr
Jedenfalls hat mein Nachbar überlebt. Physisch. Und wurde entlassen.

Eines habe ich aber als Gewißheit mitgenommen: Im Krankenhaus wird man zum Egozentriker. Man hat selbst die größten Schmerzen, ist am schlechtesten dran, benötigt die meiste Hilfe, etc. Alle anderen sind besser dran und – für den Fall, daß sie nicht sogar simulieren – sollten eigentlich nicht klagen. Das betrifft sogar die Angehörigen. Ich mußte mir mal anhören, daß ich ganz gesund sei, weil ich ohne Gehhilfe laufen kann. Im Gegensatz dazu – ‚schauen Sie sich doch mal meinen Mann an.‘ Und das war noch freundlich ausgedrückt… Alle Empathie scheint verloren gegangen zu sein, in der Klage um die eigene Gesundheit. Und das steckt offenbar auch viele Mediziner an (s.o.).

Jedenfalls weiß ich jetzt, warum ein Krankenhaus nicht Gesundhaus heißt: Krank wird oder bleibt man darin sicher, gesund wird man sicher nicht. Das kommt (hoffentlich) nach der Entlassung.

Nach insgesamt 4 Wochen werde ich dann endlich entlassen, für zwei Tage komme ich heim und dann in die Reha nach Lenggries, wo ich auch hinwollte. Anfangs geht es mir dort auch  noch nicht gut und ich muß meinem malträtierten Körper Tribut zollen. Manchmal kann ich noch nicht mal mit 15 W (!) auf dem Ergometer sitzen, muß nach einigen Minuten abbrechen, auch wenn ich vor der OP mein Belastungs-EKG noch mit etwa 240 W gemacht habe. Aber langsam geht’s bergauf. Ich spüre die Fortschritte, langsam, aber stetig. Irgendwann werde ich wieder ‚der Alte‘ sein, auch wenn im Januar nochmal am Hirn rumgedoktort wird. Dann bekomme ich endlich einen Deckel auf das Loch, das mich momentan noch  ziert. Daß ich jetzt davor einigen ‚Schiß‘ habe, ist neu aber verständlich.

Denke ich.

______________________________________________

Anmerkungen:

Für den obigen Post habe ich einige Wochen gebraucht. Meine Hände funktionieren, aber nicht gut genug für den PC. Außerdem ist Konzentration äußerst anstrengend. Ich hoffe, daß sich das in den nächsten Wochen ändert und ich wieder regelmäßig schreiben kann.

Ganz besonders möchte ich mich bei allen bedanken, die mir in der Situation so stark zur Seite gestanden haben - zuallererst natürlich Eleanor und Viola - aber auch allen anderen, die mich bei ihren Besuchen unterstützt, mir telefonisch Mut zugesprochen oder mich auch per email aufgbaut haben.

Last but not least - hier der momentane Stand des Heilungsprozesses:

Zu einem Schönheitswettbewerb werde ich nicht mehr antreten, höchstens zur Wahl des Frankenstein des Jahres

Kommentare

Ralf hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Ralf hat gesagt…
Letzte Woche wollte ich Dir noch schreiben: "Ist ja alles glatt" gegangen. Und dann der der jetzige Eintrag... Ich wünsche Dir baldige Gesundheit und gute Besserung!!!!

Herzliche Grüße aus Berlin,
Ralf

Beliebte Posts