neapel – strange experience

Zweimal innerhalb weniger Wochen ohne Dienstreise an einem Flughafen zu landen – da muß schon ein besonderes Ziel locken! Ende Juli war Neapel nur der Anfangspunkt eines Kurztrips nach Ravello; diesmal war die Großstadt selbst unser Ziel. Insbesondere für Fotos – von denen wir schließlich genügend nach Hause bringen sollten.

Das bekannte Airport-Chaos fiel diesmal etwas moderater aus – wahrscheinlich war schon ganz Vacanzia wieder auf dem Weg nach Hause. Und auch im Bus Richtung Stadtmitte herrschte nicht die schon gewohnte anheimelnde Atmosphäre von skin-on-skin, getrennt durch zwei Schweißschichten. Richtig gemütlich also, der Anfang.

Und dann das Hotel: Mark und ich hatten uns trotz guter Internetbilder auf ein typisches *** Domizil eingestellt – noch dazu in Bahnhofsnähe. Weit gefehlt: Gerade total renoviert, blitzsauber, schnuckeliges Zimmer und ein freundlicher Aufzug, der uns täglich und immer wieder versicherte: ‚Welcome to the Eden Hotel.’ Auch beim Verlassen.

Etwas hungrig nach dem langen Tag machten wir uns auf die Ristorante-Suche. Das vom Portier empfohlene war chiuso – wie auch an den folgenden Tagen – und irgendwie zog’s uns dann ein bißchen weiter. Ristoranti scheinen Mangelware zu sein, insbesondere geöffnete. Und insbesondere am Samstag Abend. So genossen wir dann noch einige heimelige Straßen mit etwas krummem Pflaster, aufgelockert durch reichlich Müll, den zu ordnen sich ein fleißiger Müllmann bemüßigt fühlte. Ergebnis: ca. 3m hoch, beliebig lang und sisyphosischer und damit krisensicherer Job. Blieb die Wahl zwischen zwei gegenüberliegenden Ristoranti –einfache Lösung: eins der beiden war voll. Also – Menu studiert, Vorspeise geshared, Hauptspeisen ungenießbar, Service miserabel. Klasse Einstand in die italienische Küche. Genervt pizzen wir doch noch gegenüber – mit nettem Service, Geschmack und Familienanbindung.

Vage Pläne lassen sich am nächsten Morgen gut umsetzen. Es ist Sonntag und anscheinend Markttag. Was auf welchen verschlungenen Wegen wie auf die Stände gekommen ist – das müssen andere erfragen. Wir wundern uns über den 3€ Standardpreis für Textilien (vom T-Shirt bis zum No-Bra (was auch immer das sein soll)), Schuhe, Zubehör irgendwelcher Art, etc. Gedränge, Geschiebe, Geschrei – einfach autentico, wie Mark zu sagen pflegt. Den Einheitspreis für die allgegenwärtigen Damen wagen wir nicht zu erfragen. Zwanglos geht’s in den Lebensmittelmarkt über, mit viel Fisch – nett zu irgendwelchen Gebilden drapiert – Gemüse, Obst, beregneten Schalentieren. Ein Eldorado für Fotos. Aber wohl auch für anders marktorientierte Verkäufer: Vom Mofa oder der Vespa aus werden uns Handies, Fotoapparate und anderes angeboten – grade geklaut, schon verhaut. Spätestens ab da beginnt irgendwo unten ein etwas mulmiges Gefühl, bei den Kamerawerten, die wir da offen rumschleppen.

Irgendwie entfliehen wir dann doch noch dem Trubel, finden eine Kirche und draußen etwas ruhigere Gefilde. Nur – so ganz beruhigend ist das nicht. Am Brunnen mit den geköpften Statuen wäscht sich eine Gestalt, andere lungern rum und beäugen uns, eine tote Taube tut das nicht mehr, liegt aber zusammen mit einigen Schuhen ganz pittoresk vor einer anderen Kirche rum. Die Gassen lassen erahnen, daß die Stadt wohl schon etwas bessere Zeiten gesehen hat – verfallene Fassaden, heruntergekommene Bausubstanz – irgendwie bedrückend beeindruckend. Und anscheinend ist ganz Neapel auf dem Markt – denn ansonsten ist alles, aber auch wirklich alles tot. Ausgestorben. Galleria Umberto 1 – einige Unverbesserliche wollen uns Fotos verkaufen. Unglaublich – aber sonst nix los. Geschäfte geschlossen. Menschen nicht vorhanden.

Am Piazza Plebiscito werde ich von einigen Hunden recht interessiert verfolgt und dann genießen wir - in der laut Reiseführer renommiertesten Bar Neapels - den lausigsten Toast aller Zeiten zum umgekehrt proportionalen Preis. Unser Preis für die Dämlichkeit, an einer Touri-Ecke Hunger zu bekommen. Und dann die Piazza – hat wohl gute Zeiten gesehen. Die müssen aber schon ewig vorbei sein. Schön verziert ist sie, mit Geschmier – Graffiti als Kunst gibt’s wohl wo anders, hier sicher nicht. Der arme, ehemals so mächtige steinerne Löwe hat seine Ohren verloren und die Taube sch… ihm auf den Kopf. Ein Bild des Jammers.

Immerhin öffnet sich der Platz zu einem Touri-Blick-Foto auf den Vesuv, was die aus allen Herren Ländern angereisten Sightseers weidlich ausnutzen. Unsere mittlerweile ziemlich schweren Beine zwingen uns zu einer Pause im Hotel, bevor wir abends weiter erkunden wollen.

Jetzt haben wir endlich einen Plan: Über die Via dei Tribunali wollen wir zur Piazza Dante und von dort aus mit der Funiculare auf den Montesanto. Dort soll man gut essen können – keine schlechte Idee nach den gestrigen Erfahrungen. Aber – wie so oft – kommt’s halt ganz anders. Ein kleines Stück in der Tribunali werden wir Zeuge eines rabiaten Überfalls auf ein japanisches Pärchen – es dauert nur Sekunden, die aber mit ziemlicher Gewalt. Die beiden versuchen ihre Taschen festzuhalten und stellen erst einige Zeit später fest, daß die Räuber ihre Uhren gestohlen haben. Und keine Chance für uns oder andere dabei einzugreifen – zu schnell ist das passiert, zu schnell sind die beiden 16-18 Jährigen entkommen.

Wir jedenfalls genießen nicht mehr so ungeniert wie zuvor, achten mehr auf das Equipment, die Taschen und vor allem die Umgebung. Was das Fotografieren nicht gerade vereinfacht, weil zudem ja auch noch auf die allgegenwärtigen Hundehäufchen zu achten ist. Weil es uns zu spät wird verschieben wir ‚Naples Underground’ auf morgen. Auch den Heiligen Berg wollen wir nicht mehr besuchen, nachdem uns einige Passanten ziemlich massiv auf die ‚via brutale’ hinweisen, die wir auf dem Weg zur Seilbahn passieren müßten. Also – retour zum Hotel, nur noch das Nötigste mitgenommen (inklusive der Minikamera) und rein in die U-Bahn zu einem empfohlenen Restaurant am Meer. Aber auch die U-Bahn-Fahrt entwickelt sich nicht gerade nervenschonend. Nach der zweiten Station sind wir die einzigen Fahrgäste im Abteil, die nicht zu einer brüllenden, tobenden, rauchenden Jugendbande gehören.

Wiederum ist das Restaurant nicht so ganz einfach – zu finden ja, aber eigentlich ist die Empfehlung nur eine Eisdiele mit Snack-Addon. Immerhin hatten wir auf dem Weg schon ein ‚Buffalo’ Ristorante entdeckt. Was wir dann auch ausnutzen: Buffalo Mozzarella paniert (ziemlich geschmacklos und fast kalt) und Standard (auch ziemlich geschmacklos, dafür aber ganz kalt). Am Nebentisch wird ein 500g Knödel Mozzarella kredenzt – hübsch mittig auf dem großen Teller angeordnet. Nett: Die Augen der Delinquenten passen sich dem Umfang des Käses an. Eine kulinarische Entdeckung ist das Ganze aber sicher nicht – auch wenn das Ambiente ein bißchen drüber weg tröstet. Mittlerweile haben sich auch die Taxen verzogen, sodaß wir einem Menschenstrom zur Sonntag-abendlichen Fußgängerzone am Wasser folgen, hübsche Ben-Hur-artige Wagenrennen in vierrädrigen Rikschas und andere tolle Dinge beobachten können. Und viele Liebespaare auf der Promenade. Anscheinend gibt’s daheim noch weniger Privacy zum Schmusen. Sonntagabendvergnügen in Napoli!

Der nächste Tag ist zunächst für den Underground reserviert – und der entschädigt dann doch für so einiges andere. Es ist ziemlich beeindruckend, wie alte Bausubstanz immer wieder verwendet wird, weil über viele Jahrhunderte hinweg nur darauf gebaut werden konnte. Konsequenz: Mauern des römischen Theaters werden bei Renovierungsarbeiten in einem Keller entdeckt – und so zu einer Attraktion der Stadt. Zusammen mit anderen ‚Hohlräumen’, die insbesondere im 2. Weltkrieg als Luftschutzkeller verwendet wurden. Führung und Ambiente sind es wirklich wert.

Schließlich finden wir dann doch noch die Funiculare zum Montesanto mit einem sehenswerten Panorama über die Stadt und den naheliegenden, dominierenden Vesuv. Zurück wollen wir noch den Duomo besuchen und verwenden wieder mal die U-Bahn – mit warnenden Hinweisen der Bediensteten, doch unbedingt die Kameras zu verstecken. Langsam macht sich Paranoia breit in uns. Und dann der Dom. Erwartung: Siena, Firenze, Roma. Realität: Neapel. Nein, mal ausnahmsweise nicht verschmutzt und runtergekommen, sondern einfach überladen. Auch wenn’s nicht ganz zutrifft – für mich der einzige Vergleich: Hearst Castle. ‚Wenn ma no a Plätzerl finden, könnt’ma no a Engele oder an Cherub hi’stelln’. Wenn der Dombaumeister bayerisch gesprochen hätte, dann wäre das seine Devise gewesen. Mark fotografiert ein rennendes Kind mit dem Kommentar: ‚Rausrennen, das einzig Sinnvolle hier’. Naja – wir waren schon etwas genervt. Aber Kunst – das ist etwas anderes.

Abends – reumütiges Pizzaessen im Ristorante des ersten Abends. Mit gutem Geschmack und weniger nettem Service. Anscheinend sind wir Stammgäste und brauchen nicht mehr umworben zu werden.

Letzter Akt: Dienstag – kein Plan und noch dazu Regen. Wenigstens nicht so kalt wie im kältesten August der letzten 60 Jahre in Deutschland. Ziel: Wenig Aufregung und noch einige nette Fotos. So schlendern wir zum und durch den botanischen Garten, genießen noch einige authentische Espressi, machen einen großen Bogen zurück zum Hotel und düsen Richtung Flughafen.

Fazit: Napoli – eine Erfahrung! Beeindruckend trotz oder gerade wegen des Verfalls, des Ambientes, der Andersartigkeit. Denn nur einige Kilometer weiter liegen die traumhafte Amalfiküste und der Cilento. Eine Gegensätzlichkeit, kaum zu überbieten.

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